Good Times – November 2018

GOOD TIMES #6/2018 – Interview Philipp Roser mit Michael Sommerhoff (Gitarrist/Sänger von PILEDRIVER)

1. Wie ging es Dir denn, als Du das erste fertige Exemplar von ROCKWALL in Händen gehalten hast?

Michael:
Ich habe mich am Abend auf die heimische Couch gesetzt, die CD in den Player gelegt und – während die Musik spielte und ich durch´s Booklet blätterte – noch einmal die vorangegangenen 18 Monate Revue passieren lassen, in denen wir an ROCKWALL gewerkelt hatten. Von den ersten Songideen und -fragmenten, die wir dann peu à peu entwickelt und zusammengefügt haben, über die Aufnahmen in Stefan Kaufmanns ROXX-Studio in Solingen bis zum finalen Mix des Albums in den Redhead Studios in Wilhelmshaven. Und ich fand, dass wir während der Produktionsperiode eine tolle Zeit hatten. Für mich ist immer der Weg das Ziel, sprich: mit Leuten, die ich mag und die meine Freunde sind, die Tracks zu entwickeln und zu beobachten, wie das Album täglich wächst. Und an dem besagten Abend habe ich mir dann natürlich die Frage gestellt, ob das Produkt nun ein hinreichend gutes ist, um uns „Gehör zu verschaffen“. Im Lichte dessen, was ich bislang von der „Außenwelt“ hören und lesen durfte, kann ich besagte Frage wohl mit „ja“ beantworten. Auch wenn ich natürlich bei jedem Hören immer noch wieder „Optimierungspotential“ erkenne und mir sage, dies und das hätten wir anders machen sollen. Aber das ist bei mir der „normale Aggregatzustand“…

2. Ist ROCKWALL der „Befreiungsschlag“, der letzte Schritt aus dem Schatten von Status Quo heraus nach über 20 Jahren als Quo-Coverband?

Michael:
In der Tat waren wir lange Jahre als Tribute-Band aktiv, um den „Spirit“ der „Frantic Four“ (Anmerkung: Nickname des Original-Line-ups von SQ, das aus den Herren Coghlan/Lancaster/Parfitt/Rossi bestand) zu reanimieren und fortzuführen, und das hat uns auch viel Spaß gemacht. In der zurückliegenden Dekade – möglicherweise ist diese Entwicklung dem Alter geschuldet – wuchs in uns aber immer mehr der Wunsch, als eigenständige Band wahrgenommen zu werden – musikalisch wie textlich. Und wenn Du Dir so unterschiedliche Tracks wie Agitators, Farewell, Nazareth vom aktuellen Album ROCKWALL oder Last Words von der Vorgänger-CD BROTHERS IN BOOGIE (= BIB) anhörst, wirst Du mir sicherlich auch zustimmen, dass diese zwar hie und da unsere „Influencer“, zu denen natürlich nicht nur SQ zählen, erkennen lassen, aber die Kombination aller Zutaten eben in eine eigenständigen Sound mündet.

Das Songwriting liegt bei meinem „partner in crime“ Peter Wagner (Anmerkung: Leadgitarrist von PILEDRIVER) und mir. Bereits bei BIB hatten wir keinen Bedarf mehr, die alten Templates unserer einstigen Heroen zu nutzen und so zu schreiben, wie sie es bzw. wie es ein Dritter getan hätte. Dieser Trend hat sich auf ROCKWALL fortgesetzt und verstärkt. Wir haben unseren Ideen und Soundvorstellungen „freien Lauf“ gelassen. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass unser Produzent Stefan Kaufmann seinen umfangreichen Erfahrungsschatz einfließen ließ und den Sound der Band mitgeprägt hat. Wenn wir nun verschiedentlich lesen durften, dass PILEDRIVER „auf eigenen Füßen steht“, dann ist das in soundtechnischer Hinsicht sicherlich ein wesentlicher Verdienst von Stefan.

3. Ist „Rockers Rollin“ so etwas wie die letzte Verbeugung vor Quo? Warum gerade die Nummer? Ich nehme an, es war eine bewusste Entscheidung für einen Parfitt-Song?

Michael:
Die Quo der 1970er Jahre waren der Grund, warum Peter und ich mit dem Gitarrespielen anfingen und eine Band ins Leben riefen. Sie waren die Live-Band an sich – unvergleichlich, unschlagbar – die pure Definition des Rock. Was man sich möglicherweise heute nicht mehr so recht vorstellen kann… Und natürlich haben wir das Bedürfnis, „danke“ für diese aufregenden und fantastischen Zeiten zu sagen bzw. an diejenigen zu erinnern, die das Headbanging und die tiefer gestimmten Gitarren erfunden und uns sowie vielen anderen „den Boden bereitet“ haben. Als wir die ersten Vorbereitungen für „ROCKWALL“ trafen, war unser „all-time-hero“ Rick Parfitt gerade verstorben. Deshalb bedurfte es keiner Diskussion, dass unser nächstes Album eine Hommage an ihn enthalten würde. Als wir die in Betracht kommenden Songs durchgingen, fiel die Wahl schnell auf „ROCKERS ROLLIN´“, einen Song vom „ROCKIN´ ALL OVER THE WORLD“- Album aus 1977, der live eine echte „Granate“ war, aber nicht so populär geworden ist wie „RAIN“ oder „WHATEVER YOU WANT“. Aus diesem Grunde und weil der Track die „Parfitt-Trademarks“ enthält, haben wir dieses Juwel „entstaubt“ und uns bestmöglich darum bemüht, unserem Helden keine Schande zu machen.

Wahrscheinlich wird es bei den Alben, die wir als PILEDRIVER möglicherweise noch zusammen aufnehmen werden, immer 1 oder 2 Tracks geben, die wir denjenigen widmen möchten, die die „Initialzündung“ gaben. Ansonsten wollen wir aber nun unseren eigenen Weg weiter gehen – wie bereits erwähnt.

4. Inwieweit limitiert Euch die Vergangenheit als Coverband, was Gig-Buchen oder auch die Wahrnehmung in den Medien angeht?

Michael:
Natürlich spielt der Bezug zu SQ immer noch eine Rolle. Veranstalter promoten uns gern weiterhin als „SQ-Tributeband“, weil sie natürlich davon ausgehen, über den bekannten Namen mehr Tickets verkaufen zu können. Was aktuell wohl auch noch eine zutreffende Annahme ist. In Interviews – dieses ist ein gutes Beispiel – sind unsere „Wurzeln“ verständlicherweise auch stets ein Thema. Aber aus der Marketing-Perspektive sehe ich das ausschließlich positiv. Als Konsument hätte ich auch nie ein Album einer Band gekauft, deren Sound ich im Vorfeld nicht hätte einordnen können. Deshalb ist die klare Positionierung eine unabdingbare Voraussetzung für einen kommerziellen (mehr oder minder großen) Erfolg. Wenn man mir als Classic-Hard-Rock-Fan sagt, diese Band klingt nach den „richtigen“ SQ, AC/DC, Deep Purple, UFO etc., dann bin ich doch eher geneigt, zuzugreifen, als wenn ich lediglich eine Anzeige einer mir eher nicht geläufigen Band in einem Magazin sehe und ich nicht genau weiß, worauf ich mich bei einem Kauf einlasse. Kurz gesagt: Ohne deutliche Assoziation zu einer oder mehreren erfolgreichen Bands ist die Chance auf einen kommerziellen Erfolg „überschaubar“. Daher denke ich, dass wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben.

5. Wie reagieren denn Eure alten Fans auf die (schleichende) Entwicklung der letzten Jahre mit dem jetzigen „Höhepunkt“ der Entwicklung?

Michael:
Sehr positiv. Lediglich ein (auch mit Blick auf die Lebensjahre) alter Fan meinte, uns über Facebook mitteilen zu müssen, dass das, was wir mit ROCKWALL nun tun, Hunderte Bands machen, aber wir seien als SQ-Tributeband einzigartig und die besten. Deshalb sollten wir bei unseren „Leisten“ bleiben. Auch das war ja letztlich eine positive Stimme eines Fans, der offenbar nun befürchtet, die Band zu verlieren, die ihn wohl am ehesten an die „Frantic Four“ erinnert. Aber unsere Social-Media-Auswertungen sprechen eine andere Sprache: Mit ROCKWALL haben wir die Zahl unserer „FOLLOWER“ nicht nur erheblich gesteigert, sondern auch einer starken „Verjüngungskur“ unterzogen. Als die Vorgänger-CD BIB im Oktober 2016 veröffentlicht wurde, war die erreichte Zielgruppe zu 80 % männlich, mehr als 70 % befanden sich in der Altersgruppe zwischen 45 und 64 Jahren. Das Bild hat sich nun deutlich verändert: Der Anteil der weiblichen Fans ist auf knapp 40 % gestiegen, und ebenfalls fast 40 % aller Anhänger sind nun zwischen 25 und 44 Jahren jung. Das ist eindeutig darauf zurückzuführen, dass wir mit „ROCKWALL“ eben nun auch nicht mehr nur die Fans des klassischen Hard Rock der 1970er und 1980er Jahre erreichen, sondern auch Leute, die diese Zeiten nur aus den Geschichtsbüchern kennen können. Und wenn wir live spielen, kommen mit Blick auf unsere eigenen Tracks nach der Show häufig Fragen wie „Was war das für ein Song? Auf welchem Album ist der zu finden?“ Es gibt also viel Zustimmung zum eigenen Material.

6. Musikalisch bewegt Ihr Euch mit ROCKWALL weiter weg von Quo, noch mehr in Richtung Classic Rock? Klangliche Assoziationen in Richtung Uriah Heep, Deep Purple, Gary Moore, aber auch AC/DC, Van Halen kommen einem eher in den Sinn als solche in Sachen Quo?

Michael:
Mir geht es so wie Dir – ich höre bei den Songs, die ich zu „ROCKWALL“ beigesteuert habe, kaum bis keine SQ-Einflüsse mehr heraus, da ich eben nicht mehr die entsprechenden und hinlänglich bekannten „Templates“ nutzen wollte. Sonst wäre ja auch wenig Neues bzw. Eigenständiges dabei entstanden. Beeinflusst und inspiriert hat mich schon vor vielen Jahren sehr viel mehr eine andere große britische Band, nämlich die guten alten UFO zu Zeiten, da Michael Schenker den Sound geprägt hat. „Strangers in the night“ ist für mich eines der besten LIVE-Alben aller Zeiten, und das Comeback- bzw. Reunion-Studio-Album „Walk on water“ aus den 1990er Jahren finde ich ebenfalls fantastisch. Die Vocals von Phil Mogg und die Leadgitarre von Schenker ergänzen sich perfekt. Das wäre noch ein großer Wunsch von mir: für diese Band einmal den support bestreiten zu dürfen. Dass zu den weiteren großen Bands, die mein Songwriting beeinflusst haben, AC/DC, Deep Purple, Uriah Heep und auch ein wenig Iron Maiden gehören, hast Du bereits bestätigt. Aber der Mix macht es, und so wird es am Ende ein eigenständiger Sound. Abgesehen davon, dass man „das Rad“ insbesondere im Rockbereich nicht mehr neu erfinden kann, wäre dies mit Blick auf den natürlich erstrebten Erfolg des Produkts auch gar nicht ratsam. Denn niemand kauft etwas, wenn es ihm nicht in irgendeiner Weise vertraut vorkommt; man muss als Käufer sicher sein können, eine CD zu erwerben, die einem überwiegend gefallen wird. Wie bereits ausgeführt.

7. Täuscht der Eindruck, oder hat die Hammond im Gesamtklangbild nicht an Gewicht gewonnen?

Michael:
Das hat sie, sodass vereinzelte Reminiszenzen an Deep Purple (z. B. bei ONE FOR THE ROCK oder auch ROCKWALL) nicht zu leugnen sind. Die Hammond eröffnet uns andere Möglichkeiten außerhalb des bisherigen Spektrums und trägt letztlich zu dem bereits angesprochenen „signature sound“ bei. Ich empfinde sie als echte Bereicherung; zudem haben wir mit meinem Freund Rudi Peeters einen fantastischen Musiker in der Band, der unausgesprochenerweise stets weiß, was ein Song braucht, wie er klingen sollte. Es sind nie Diskussionen notwendig. Ich finde insbesondere Rudis Beiträge zu den für unsere Verhältnisse ein wenig „aus dem Rahmen fallenden“ Tracks wie FAREWELL und FOR FREEDOM & FRIENDS“ hervorragend. Gänsehautatmosphäre.

8. Wie sind die neuen Songs entstanden, kannst Du ein wenig über Songwriting und dann die Aufnahmen erzählen?

Michael:
Das Songwriting liegt bei meinem „partner in crime“ Peter Wagner (Anmerkung: Leadgitarrist von PILEDRIVER) und mir. In der Entstehungsphase arbeitet und tüftelt jeder grundsätzlich für sich allein. Meine Ideen habe ich meist nach Ende der Tiefschlafphase morgens kurz vor dem Aufstehen. Und wenn es meine Zeit erlaubt, setzte ich mich dann gleich vor dem Frühstück hin, probiere Dinge an meiner Akustikgitarre aus und halte die entstehenden Riffs, Melodielinien etc. gleich fest, indem ich sie mit meinem Notebook aufnehme. Irgendwann habe ich dann zahlreiche Song-Fragmente erstellt und füge diese zu einem Titel zusammen. Bis so ein Album geschrieben ist, braucht es in der Regel etwa ein Jahr – je nachdem, ob man einen „guten Lauf“ hat oder auch mal eine kreative Durststrecke überwinden muss.

Mit den Aufnahmen bei Stefan Kaufmann haben wir bereits im Juli 2017 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt gab es die ersten 4 Tracks von ROCKWALL noch gar nicht. Die sind dann erst gegen Ende des Aufnahmeprozesses geschrieben und unmittelbar danach sofort aufgenommen worden. Wir haben also keine Songs mit der gesamten Band im Proberaum entwickelt, weil das nicht unsere Arbeitsweise ist. Nach Fertigstellung des Albums haben wir dann begonnen, mit allen Musikern Live-Versionen der Titel zu erarbeiten, denn natürlich ist es ein großer Unterschied, einen Song im Studio Spur für Spur aufzunehmen oder diesen mit 5 Musikern auf einer Bühne aufzuführen.

9. Produziert hat wieder Stefan Kaufmann – was zeichnet ihn aus? Getrommelt hat er ja wohl auch fleißig?

Michael:
Stefan hat sein Handwerk bei Dieter Dierks (Anmerkung: u.a. Produzent von ACCEPT und SCORPIONS) gelernt und dort wohl auch eine „harte Schule“ durchlaufen. Aber ansonsten hätte es die Klassiker wie z. B. „Balls to the wall“ oder auch die Scorps-Alben „Lovedrive“, „Animal Magnetism“, „Blackout“ jedenfalls nicht in der uns heute bekannten Fassung gegeben. Will sagen, Stefan hat den Hang zu Präzision und Perfektionismus von Dieter Dierks verinnerlicht und legt entsprechende Ansprüche bei seinen Produktionen zugrunde. Aufnahmen in seinem ROXX-Studio sind also kein „Spaziergang“ oder etwa „vergnügungssteuerpflichtig“. Aber als Musiker haben wir in den letzten gut 3 Jahren unheimlich viel gelernt und uns – in aller Bescheidenheit – doch ganz erheblich verbessert. Und was für ein großartiges Kompliment ist es denn für uns, wenn jemand, der in der Musikbranche weltweit ganz oben in der ersten Liga mitgespielt hat, uns sagt, wie viel Freude ihm unsere Musik macht und dass er großen Spaß an den Produktionen mit PILEDRIVER hat? Er ist vom Potential der Band überzeugt. Und wir sehen die Zusammenarbeit als eine Chance, wirklich professionelle und wettbewerbsfähige Produkte zu kreieren. Mit wem sonst, wenn nicht mit Stefan? Er sagt stets, dass er niemals seinen Namen unter „irgendeinen Mist“ setzen lassen würde. Hat er sich einmal in seine Arbeit vertieft, spielt Zeit auch keine größere Rolle mehr. Es wird so lange getüftelt, bis ein Track nach seiner Überzeugung perfekt ist. Nach Aufnahmeschluss ist Stefan ein hervorragender Gastgeber, der das Zeug zum „Sterne-Koch“ hat. Auch aus kulinarischen Gründen empfiehlt sich also eine Produktion im Hause Kaufmann… Schließlich hat Stefan uns dann bei ROCKWALL noch mit den U.D.O.-Produzenten Holger und Mattes aus Wilhelmshaven zusammengebracht. In deren dortigen „Red Head Studios“ wurde unser Album gemischt.

Dass Stefan diesmal auch den Drum-Hocker eingenommen hat, lag an der Nichtverfügbarkeit von Hans. Anders als der Rest der Band lebt er von der Musik. Und da man aus Tonträgerverkäufen bzw. GVL-Tantiemen kein hinreichendes Einkommen mehr generieren kann, muss er ständig live spielen. Und somit trommelt er in (mein letzter Stand der Dinge) 8 verschiedenen Bands (z. B. Praying Mantis, Harris, Parris usw.). Als es um die Terminierung der Drum-Recordings ging, haben Hans und Stefan ihre Terminkalender nebeneinander gelegt und entdeckt, dass es über einen Zeitraum von mehreren Monaten eine Schnittmenge von exakt 2 verfügbaren Tagen gab. Und die reichen nun bei einer solchen Produktion bei Weitem nicht. Was lag näher, als den früheren ACCEPT-Drummer zu fragen, ob er denn für uns noch einmal (wenigstens im Studio) die Sticks schwingen würde? Was er dann auch getan hat – meines Erachtens zum Besten von ROCKWALL. Die Drum-Arrangements sind genau so, wie sie bei dieser Musik sein müssen – wir jedenfalls sind begeistert, und ich hoffe, dass die Fans das ähnlich hören und sehen werden!

10. Wie kam es zur epischen Ballade „Nazareth“, die viele Kritiker ja in der Scorpions-Ecke verorten (und als Radiohit sähen, wenn die Scorpions sie gemacht hätten)?

Michael:
Vielleicht sollten die Scorpions meinen Song wirklich aufnehmen…;-) NAZARETH ist einer meiner persönlichen Favoriten auf ROCKWALL und spiegelt mit am besten wider, an welcher Art Songs ich am liebsten arbeite.

Die Lyrics bei NAZARETH sind mir mindestens genauso wichtig wie die Musik. Ich möchte das Missverständnis vermeiden, nur dem Islam kritisch gegenüberzustehen. Wenn man Songs wie „ROCK IN A CROSSFIRE-HURRICANE“ vom Vorgänger-Album BIB oder aktuell „FAREWELL“ hört bzw. deren Lyrics liest, könnte man dies annehmen. Das ist aber nicht korrekt. Ich stehe jeder Religion kritisch gegenüber, da diese immer für Intoleranz und Diskriminierung steht. Zudem halten sich „gläubige“ Menschen stets für die besseren auf dem Planeten; Religion befördert also Arroganz und hierarchisches Denken, den Glauben an „Unter- und Übermenschen“. Als Atheist sehe ich jede Religion als potentielle Gefahr für den Weltfrieden an.

In „NAZARETH“ nehme ich natürlich die katholische Kirche auf´s Korn; die Idee zu den Lyrics kam mir, als vor nicht allzu langer Zeit ein Bericht über einen – aus meiner Sicht – Scharlatan durch die Medien ging, der mit „Marienerscheinungen“ (bezeichnenderweise im Bundesland Bayern unter „großer Anteilnahme“ der regionalen Bevölkerung) auf sich aufmerksam machte und damit „gutes Geld“ verdiente. In der Tat hatten sich zu einem solchen „Event“ sogar Funk und Fernsehen angesagt, aber leider erschien dann die „Mutter Gottes“, die Dame mit der „unbefleckten Empfängnis“, doch nur besagtem Scharlatan. Faszinierend, dass so etwas in einem vermeintlich aufgeklärten Land wie D noch möglich ist. Und gleichzeitig beängstigend.

Und daher lautet die Frage in „NAZARETH“, die sich natürlich an alle Katholiken richtet: Glaubt Ihr wirklich, dass Jesus von Nazareth irgendwann in seine Heimatstadt (bzw. auf diesen Planeten) zurückkehrt? Seht Ihr nach mehr als 2000 Jahren nicht endlich ein, dass Ihr einer Lüge aufgesessen seid? Dass die Kirche nichts anderes ist als ein immer noch florierendes Wirtschaftsunternehmen, das euch ausbeutet, für die Überbevölkerung und damit für den Klimawandel zu einem Gutteil verantwortlich ist und deren Mitarbeiter nachgewiesenermaßen gar nicht so heilig sind und zölibatär leben, wie sie stets vorgeben? Sondern dass es Männer sind, die ihren Sexualtrieb natürlich und verständlicherweise genau so wenig unterdrücken können wie jeder andere (junge) Mann? Die diesen stärksten Trieb, den ihnen ihr Schöpfer – von Gott mag ich nicht sprechen – mitgab, allerdings nur im Verborgenen und zu Lasten unschuldiger Dritter ausleben können? Darum geht es in den Lyrics zu „NAZARETH“.

11. Die Texte gehen über die üblichen Inhalte hinaus, haben teilweise politischen Gehalt („Agitators“, For Freedom And Friends“) und Botschaften gegen Hass und Egoismus – persönliche Anliegen von Dir/Euch? Oder einfach Teil der „Unterhaltung mit Haltung“, die Dir wichtig ist? Was würdest Du Kritikern entgegenhalten, wenn die Euch Aufspringen auf einen Zug vorwerfen, gegen Diktatoren, US-Präsidenten zu wettern?

Michael:
Die Inhalte der Lyrics sind mir in der Tat ein wichtiges Anliegen. Bei all den Besorgnis erregenden Entwicklungen und Problemen auf der Welt kann und will ich nicht mehr über Belanglosigkeiten schreiben. Wir haben alle eine Verantwortung, als Wähler haben wir es ganz wesentlich in der Hand, ob wir auch künftig in einem friedlichen Europa leben oder in nationalistische Kleinstaaterei zurückfallen werden. In letzterem Falle würden sich China, Russland etc. „bedanken“. Uns ist es deshalb wichtig, die Leute mit unseren Songs zum Mit- und Nachdenken anzuregen – also in der Tat „Unterhaltung mit Haltung“, wie es der große Udo Jürgens gern formulierte.

„Aufspringen auf einen Zug“ – das sehe ich nicht. Ich schreibe über meine persönlichen Überzeugungen, versuche Missstände, Gefahren und Risiken für die Zukunft aufzuzeigen, ähnlich wie vielleicht Wolfgang Niedecken von BAP oder „Liedermacher“ wie Konstantin Wecker oder Hannes Wader. Aber in unserem Genre? Da sehe ich niemanden, der über ähnliche Themen schreibt und sich natürlich auch der Gefahr aussetzt, sich in „die Nesseln“ zu begeben. Und bei Religion hört für viele „Gläubige“ der Spaß aber ganz schnell auf. Und ehrlich gesagt habe ich immer noch Vergnügen an meinem Einfall, dem Präsidentendarsteller Trump den Spruch „Buy this CD and Mexico will pay for it!“ in den Mund gelegt zu haben. Möglicherweise versteht nun so mancher, welch ein „gerüttelt Maß“ an Schwachsinn dieser überaus gefährliche „Führer“ den lieben langen Tag so von sich gibt. Ich glaube übrigens nicht, dass es eine Mauer an der Grenze zu Mexiko geben wird. Und schon gar nicht, dass Mexiko für die Kosten in Höhe von geschätzten 25 Milliarden US-Dollar aufkommen wird. Vielleicht sollte der amerikanische Steuerzahler, der ja im Falle des Baus zahlen muss, den genannten Betrag eher in die Beseitigung der Migrationsursachen investieren.

12. Wie kam es zu dem ungewöhnlichen Cover?

Michael:
Als die Texte fertig waren, ging es um die geeignete Visualisierung der wesentlichen Inhalte. Und da „DJ Dumb“ während des US-Wahlkampfes seiner Schafherde gebetsmühlenartig vorgetragen hatte, dass eine Mauer das Ende aller Migrations-Probleme sei und ich natürlich auch an „unsere“ Berliner Mauer denken musste, kam mir die Idee mit der ROCKWALL, die unser Designer Thomas Ewerhard dann umgesetzt hat. Die ROCKWALL steht aber auch für jene unsichtbaren Mauern zwischen den Menschen, die entstehen, wenn man nicht miteinander kommuniziert und als Konsequenz daraus dann Misstrauen, Streit und am Ende blinder irrationaler Hass wachsen. Eine böse Spirale, und anlässlich der global festzustellenden nationalistischen Tendenzen besteht durchaus jeder Anlass zur Panik. Ein Leben in Frieden und Freiheit hat unsere und die uns nachfolgende Generation immer als selbstverständlich vorausgesetzt. Dass dies so bleibt, ist längst nicht ausgemacht. Bricht das Friedensprojekt EU auseinander und übernehmen zu allem Überfluss Hetzer von der AFD (wie Möchtegern-Führer Höcke oder die sich optimal als Darstellerin einer KZ-Aufseherin eignende Weidel Alice) die Macht, sind kriegerische Auseinandersetzungen absehbar. Und dann wird die „Generation Z“ lernen, dass es schwerwiegendere Probleme gibt als fehlendes WLAN.

Darum appellieren wir an die Menschen, miteinander zu sprechen und zu diskutieren – stoppt „Deutschland brüllt“, unterstützt „Deutschland spricht“. Denn das ist eine Initiative, die Bundespräsident Steinmeier zusammen mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ auf den Weg gebracht hat, die wir für unterstützenswert halten: Bei „Deutschland spricht“ werden Gesprächspartner zusammengebracht, die gänzlich unterschiedliche Ansichten vertreten. Die Leute werden so herausgeholt aus ihrer „Filterblase“. Man muss natürlich offen sein für einen konstruktiven Diskurs, offen sein für die Sichtweisen anderer Menschen. Aber ein „weiter so“ mit Fake News, Beleidigungen, Gewaltandrohungen und deren Umsetzung in die Tat darf es nicht geben. Wir verrohen jeden Tag ein Stückchen mehr, verlieren die Empathie für einander. Deshalb muss man ergebnisoffen miteinander reden. Ich habe mich übrigens ebenfalls für eine Diskussionsteilnahme registriert. Einfach mal nachlesen unter www.zeit.de.

Schließlich zeigt das Cover von ROCKWALL aber auch noch, dass Musik die stabilsten Mauern zum Einsturz bringen kann – Musik eint und verbindet! Wenn Du mit anderen einen Gig Deiner Lieblings-Band zelebrierst, fragst Du den Fan neben Dir nicht nach Herkunft, Staatsbürgerschaft, Beruf, Einkommen etc. Ihr hakt euch unter und feiert zusammen! Und daher braucht es Musik heute mehr denn je, damit die Menschen friedlich miteinander leben.

13. Was hat’s mit „Little Latin Lover“ auf sich?

Michael:
Diesen Song haben wir bereits auf der 2004er CD PILES OF ROCK veröffentlicht, waren aber mit der damaligen Aufnahme nie recht zufrieden. Eine schöne Up-Tempo-Blues-Rock-Nummer, sehr in der Tradition von Quo und – was die Slide-Guitar anbelangt – Rory Gallagher. Darum haben wir den Titel nun noch einmal bearbeitet – die damals verfassten Lyrics haben wir unverändert belassen. Was es inhaltlich damit auf sich hat? „A little Rock´n´Roll will make you smile“ – diese Worte habe ich den Lyrics im Booklet der CD vorangestellt. Und ausnahmsweise geht es hier nicht um mehr. Ach ja, und mir gefällt die Alliteration „L-L-L“.

14. Du hast in den letzten 20 Jahren enorm viel in die Band investiert, was Zeit und Geld angeht. Beim letzten Mal hast Du gesagt, es dauere allein fünf bis sechs Jahre, eine Band aufzubauen und dann noch mehr Zeit sie zu etablieren, ehe an einen „Return of investment“ zu denken sei – wie weit seid Ihr auf diesem Weg hin zu diesem Punkt?

Michael:
Aus heutiger Sicht und insbesondere nach den Investitionen in ROCKWALL wird unser „Return on investment“ kein monetärer sein.

Finanziell lohnt sich der Aufwand ganz sicher nicht; CDs werden kaum noch verkauft, denn nur eine Minderheit ist so fair und zahlt noch für Musik. Was natürlich dazu führt, dass wirklich hochwertige Produktionen (wie z. B. in den 1980er Jahren von Def Leppard, die für Hysteria etwa 3 Jahre im Studio verbracht haben) betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellbar sind und deshalb auch nicht mehr geschaffen werden können. Warum haben die Rolling Stones ihr letztes Album „Blue & Lonesome“ in 2 Tagen aufgenommen? Wirtschaftlich machen wir uns also keinerlei Illusionen. Aber darum geht es auch nicht. Wir müssen unseren Lebensunterhalt nicht mit der Musik bestreiten, und das ist auch gut so. Denn sonst müssten wir wirtschaftliche Kriterien anlegen und könnten folglich nicht das bieten, was wir unseren Anhängern mit dieser CD nach bestem Wissen und Gewissen vorlegen. Schlicht und einfach: Wir lieben, was wir tun und sind „Überzeugungstäter“. Wir wollen die Band PILEDRIVER, ihren Sound und ihre Botschaft, etablieren. Dafür zahlen wir.

15. Wie sind die letzten Alben/DVD gelaufen?

Michael:
Zumindest so gut, dass wir uns zu ROCKWALL und damit zum Weitermachen entschlossen haben. In den Zeiten von YouTube, Facebook, Musikstreamingdiensten wie Deezer, Spotify etc. ist es schwer einzuschätzen, wie viel man wovon „verkauft“. Den Verkauf muss ich in „Gänsefüßchen“ setzen, denn wenn unsere Tracks bei YOUTUBE geklickt werden, haben wir davon so gut wie nichts. Beispiel: Unser Titel „LAST WORDS“ vom BIB-Album wurde mehr als 120.000 Male geklickt. Dafür haben wir nicht mal 10 Euro bekommen. Wir sind froh, dass wir von derlei Aktivitäten nicht leben müssen. Mit Fairness seitens der Internetgiganten gegenüber den Urhebern hat das Alles schon lange nichts mehr zu tun. Und die Konsumenten glauben mittlerweile zu einem Großteil, sie hätten ein Recht auf kostenfreie Bücher, Filme und Musik. Nutzer nehmen kreative Tätigkeiten gar nicht mehr als Leistung war, die zu honorieren ist. Eine traurige Entwicklung, die aber letztlich dazu führen wird, dass es immer weniger attraktive kreative Leistungen / Produkte geben wird.

16. Wie erlebt/spürt Ihr die Veränderungen auf dem Markt, sprich die wachsende Bedeutung von Streaming, das kaum Einnahmen bringt, im Vergleich zum Rückgang der Verkaufszahlen physischer Tonträger?

Michael:
Siehe meine Ausführungen zur vorherigen Frage. Nennenswerte Einnahmen können nur noch durch Konzerttourneen erzielt werden. Und in diesem Segment erzielen auch nur die etablierten Acts relevante Umsätze. Das bedeutet, dass der „Nachwuchs“ zwischen den Stühlen sitzt. Es gibt keine „Plattenfirmen“ mehr, die über mehrere Jahre in den Aufbau eines Künstlers investieren bzw. Aufwendungen vorfinanzieren. Es gibt keine Veranstalter mehr, die (auch nur geringe) Festgagen für unbekannte Acts zahlen. Also müssen Gigs auf eigenes Risiko organisiert und finanziert werden. Das können die meisten jungen Leute nicht stemmen. Und deshalb treffen wir heute nicht mehr auf „organisch“ über die Jahre gewachsene Bands, sondern gecastete Truppen, die ihr Handwerk eben nicht mehr „von der Pike auf“ gelernt haben.

17. Die meisten Alben verkauft man heute i.d.R. nach Shows – wie sieht die Entwicklung bei Piledriver in Sachen Auftritte aus? Auf dem Markt wird’s ja auch immer schwieriger.

Michael:
„Pay to play“ – so sieht das heute aus. Um eine etablierte Band supporten zu dürfen, fällt eine „Buy-on-fee“ an, die im Durchschnitt ein Euro pro Konzertbesucher beträgt. Alle weiteren Kosten (Euqipment, Transport, Hotel, Catering) muss man ebenfalls bezahlen.

Die andere Möglichkeit ist die Eigenorganisation von Gigs, mit denen ein kaum minder großes Risiko verbunden ist. Einziger Lichtblick sind bestimmte Festivals (z. B. in den Niederlanden), bei denen einmal eine Festgage garantiert wird und andererseits auch sicher gestellt ist, dass ein Publikum vor Ort ist.

18. Wie sehen die Pläne für 2019 aus?

Michael:
Viele Gigs, woran wir emsig arbeiten. 15 Shows stehen bereits. Und wenn Alles klappt, können wir in 2019 mit einer bekannten und von uns sehr geschätzten Band auf Europa-Tour gehen („Pay-to-play“). Da dies aber noch nicht „in trockenen Tüchern“ ist, muss ich mich hier einstweilen zurückhalten. Sobald Alles fixiert ist, hört Ihr davon. Und wir werden für eine neue Blu Ray aufzeichnen, die dann in 2020 zu unserem „25. Geburtstag“ erscheinen wird. Und damit steht fest, dass wir den finanziellen „Return on investment“ in diesem Leben nicht mehr erreichen werden…