RockCity – November 2018

PILEDRIVER – Interview – November 2018

Jens Reimnitz (Rock City) und Michael Sommerhoff (Gitarrist bei PILEDRIVER)

1. Ihr habt Eure neue CD „Rockwall“ genannt – zu Ehren Eures eigenen Labels? Oder gab es andere Gründe für die tolle Namensgebung?

Michael:
Zunächst danke für das Kompliment; freut mich, dass Dir der Titel, dem wir dem neuen Werk gegeben haben, gefällt. Nein, mit der Firmierung unseres Labels hat dieser nichts zu tun. ROCKWALL ist mehrdeutig zu verstehen: das Hauptthema der Lyrics auf dem neuen Album ist „Kommunikation“ – oder treffender formuliert: der Mangel an echter Kommunikation im Sinne von Zuhören, Verständigung und Kompromissbereitschaft. Überall auf der Welt kann man dieses fatale und den Frieden gefährdende Phänomen derzeit beobachten. Ich muss gestehen, dass ich die Initialzündung zum Titel „ROCKWALL“ tatsächlich dem aktuellen Darsteller des US-Präsidenten, dem unsäglichen Donald J. Trump, verdanke. Sein mit Blick auf die mexikanische Grenze zu Wahlkampfzeiten in Endlosschleife wiederholter Slogan „build that wall“ hat bei mir natürlich Erinnerungen an die Berliner Mauer wach gerufen, die ich mit all ihren Konsequenzen für die Menschen noch erlebt habe. Eine Mauer, die dafür gesorgt hat, dass wir in Westdeutschland die in der damaligen DDR zu minimalen Löhnen gefertigten Produkte zu „Geiz ist geil“-Preisen kaufen konnten, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Ich erinnerte dann aber auch den Besuch eines anderen republikanischen US-Präsidenten, nämlich Ronald Reagan, der 1985 am Brandenburger Tor „Mr. Gorbatschow, tear down this wall“ gerufen hatte. Was Mr. G. dann auch etwa 4 Jahre später geschehen ließ – mit einiger Unterstützung der ehemaligen Alliierten aus dem 2. Weltkrieg (Großbritannien, Frankreich, USA). Und was nicht geschehen wäre, wenn nicht sowohl die damalige UDSSR als auch die DDR ökonomisch am Ende gewesen wäre.

Und nun die Transferleistung – was hat das mit Musik zu tun? Eine Menge, denn auf Konzerten kann man regelmäßig beobachten, dass diese verbindet und „Mauern einreißt“. Man fragt dann nicht, welche Nationalität, welchen Glauben, welchen sozialen Status die Menschen haben, die mit Dir einen Gig Deiner Lieblings-Band zelebrieren. Man versteht sich wortlos, man bildet eine Einheit – es gibt kein „wir gegen die anderen“. Und das ist es, was wir mit dem Cover von ROCKWALL zum Ausdruck bringen möchten. Musik verbindet die Menschen und reißt Kommunikationsmauern ein. Deshalb brauchen wir Musik heute mehr denn je. Sie trägt zur Verständigung bei, und wenn wir uns mit anderen Menschen befassen, mit Ihnen sprechen und diskutieren, gewinnen wir Einsichten und andere Perspektiven – es ist dann kaum noch möglich, diese Menschen zu hassen oder ihnen gar Gewalt antun zu wollen.

2. Das Cover ist sehr „politisch“….und zeigt die größten Volldeppen der Erde. Wie seid Ihr auf die Idee gekommen und welche (politischen?) Gründe spielten dahingehend eine Rolle? Und warum habt Ihr denn „unsere Merkel vergessen“?

Michael:
Meine Antwort auf diese Frage steht in unmittelbarem Zusammenhang mit meinen vorangegangenen Ausführungen. Man darf sich von Hetzern und nationalen Spaltern nicht verführen lassen; denn diese wollen Wohlstand, Macht und Ruhm nur für sich selbst, nicht für die Menschen, deren Interessen sie vermeintlich, aber natürlich nicht tatsächlich vertreten. Die prominentesten Hetzer haben wir auf das Cover von ROCKWALL gebracht; aber selbstredend gibt es noch viele andere, die ähnlich gefährlich sind (z. B. im UK die Brexit-Befürworter Nigel Farage, Boris Johnson, bei uns die AFD-Hetzer Höcke, Weidel, Gauland, in F Le Pen, in Katalonien Puidgemont usw usw). Unsere Botschaft an die Menschen: Lasst euch nicht irre machen, haltet zusammen, sprecht, feiert und lacht miteinander – und zeigt den Spaltern den Mittelfinger! Angela Merkel haben wir nicht „vergessen“, sondern sie hat mit Diktatoren wie Erdogan, Putin, Kim Kong-un überhaupt nichts gemein. Was würde wohl passieren, wenn wir in D keine besonnene und sachlich orientierte Merkel, sondern einen „Führer“ namens Bernd Höcke hätten? In Nullkommanichts würde es mit der deutschen Wirtschaft in rasender Fahrt abwärts gehen, da niemand mehr mit den Deutschen Geschäfte machen würde, bis zum Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen wäre es nicht mehr weit, und deutsche Frauen „dürften“ wieder an den Herd zurückkehren und dem Führer Höcke Kinder gebären. Jeder, der halbwegs bei Verstand ist und ein wenig Allgemeinbildung besitzt, wird den Nazis im Schafpelz à la Höcke entschlossen entgegentreten. Was übrigens nicht heißt, dass ich die Merkel-CDU unterstütze. Aber besonnene Leute, die ihre Worte wägen, brauchen wir unbedingt. Hierzu zähle ich auch jedenfalls unseren Bundespräsidenten Herrn Steinmeier, den ich in der Tat sehr schätze. Ein diplomatisches Kunststück, wie Steinmeier und Merkel mit dem Diktator Erdogan bei seiner kürzlichen Deutschland-Visite umgegangen sind. Sie haben alles getan, damit er sich anerkannt und wohl fühlt – und ihm dann „aus dem Leviticus vorgelesen“. Genau richtig – man muss miteinander reden, sonst wird es immer noch schlimmer – und zwar für die Menschen in den jeweiligen Ländern, nicht für die Diktatoren.

3. Auch das neue Cover ist sehr aufwendig und professionell gehalten? Bei Euch scheint der „value for money“ Gedanke noch zutreffend zu sein. Lohnt sich der Aufwand denn wenigstens?

Michael:
Danke; schön zu hören, dass der Aufwand wahrnehmbar ist. Mit dem Artwork haben wir wiederum einen der profiliertesten, meines Erachtens besten und darüber hinaus sympathischsten Designer beauftragt, nämlich Thomas Ewerhard aus Düsseldorf, der auch schon für das Vorgänger-Album „BROTHERS IN BOOGIE“ verantwortlich zeichnete. Wir würden keine „halbgare Sache“ und damit ein nicht wettbewerbsfähiges Produkt veröffentlichen, denn dann kann man sich Zeit und Geld gleich sparen. Das gilt für die Verpackung und natürlich zuallererst für deren Inhalt – auch musikalisch haben wir wieder mit hervorragenden Leuten arbeiten dürfen, die schon lange international erfolgreich sind; in erster Linie möchte ich hier unseren Produzenten Stefan Kaufmann nennen, der diesmal auch die Drums und einige Gitarrenparts eingespielt hat. Aber auch Holger Thielbörger (Anmerkung: Dirkschneider-Produzent) vom Red Head Studio aus Wilhelmshaven, der das Album gemischt hat, darf nicht unerwähnt bleiben.

Ob sich der Aufwand lohnt? Finanziell ganz sicher nicht; CDs werden kaum noch verkauft, denn nur eine Minderheit ist so fair und zahlt noch für Musik. Was natürlich dazu führt, dass wirklich hochwertige Produktionen (wie z. B. in den 1980er Jahren von Def Leppard, die für Hysteria etwa 3 Jahre im Studio verbracht haben) betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellbar sind und deshalb auch nicht mehr geschaffen werden können. Warum haben die Rolling Stones ihr letztes Album „Blue & Lonesome“ in 2 Tagen aufgenommen? Wirtschaftlich machen wir uns also keinerlei Illusionen. Aber darum geht es auch nicht. Wir müssen unseren Lebensunterhalt nicht mit der Musik bestreiten, und das ist auch gut so. Denn sonst müssten wir wirtschaftliche Kriterien anlegen und könnten folglich nicht das bieten, was wir unseren Anhängern mit dieser CD nach bestem Wissen und Gewissen vorlegen.

Schlicht und einfach: Wir lieben, was wir tun und sind „Überzeugungstäter“. Wir wollen die Band PILEDRIVER, ihren Sound und ihre Botschaft, etablieren. Dafür zahlen wir.

4. Ein Song heißt „Nazareth“….welche Aussage wollt Ihr mit diesem Song vermitteln?

Michael:
Wir möchten das Missverständnis vermeiden, nur dem Islam kritisch gegenüberzustehen. Wenn man Songs wie „ROCK IN A CROSSFIRE-HURRICANE“ vom Vorgänger-Album BIB oder aktuell „FAREWELL“ hört bzw. deren Lyrics liest, könnte man dies annehmen. Das ist aber nicht korrekt. Wir stehen jeder Religion kritisch gegenüber, da diese immer für Intoleranz und Diskriminierung steht. Zudem halten sich „gläubige“ Menschen stets für die besseren auf dem Planeten; Religion befördert also Arroganz und hierarchisches Denken, den Glauben an „Unter- und Übermenschen“. Als Atheist sehe ich jede Religion als potentielle Gefahr für den Weltfrieden an.

In „NAZARETH“ nehmen wir natürlich die katholische Kirche auf´s Korn; die Idee zu den Lyrics kam mir, als vor nicht allzu langer Zeit ein Bericht über einen – aus meiner Sicht – Scharlatan durch die Medien ging, der mit „Marienerscheinungen“ (bezeichnenderweise im Bundesland Bayern unter „großer Anteilnahme“ der regionalen Bevölkerung) auf sich aufmerksam machte und damit „gutes Geld“ verdiente. In der Tat hatten sich zu einem solchen „Event“ sogar Funk und Fernsehen angesagt, aber leider erschien dann die „Mutter Gottes“, die Dame mit der „unbefleckten Empfängnis“, doch nur besagtem Scharlatan. Faszinierend, dass so etwas in einem vermeintlich aufgeklärten Land wie D noch möglich ist. Und gleichzeitig beängstigend.

Und daher lautet die Frage in „NAZARETH“, die sich natürlich an alle Katholiken richtet: Glaubt Ihr wirklich, dass Jesus von Nazareth irgendwann in seine Heimatstadt (bzw. auf diesen Planeten) zurückkehrt? Seht Ihr nach mehr als 2000 Jahren nicht endlich ein, dass Ihr einer Lüge aufgesessen seid? Dass die Kirche nichts anderes ist als ein immer noch florierendes Wirtschaftsunternehmen, die euch ausbeutet, für die Überbevölkerung und damit für den Klimawandel zu einem Gutteil verantwortlich ist und deren Mitarbeiter nachgewiesenermaßen gar nicht so heilig sind und zölibatär leben, wie sie stets vorgeben? Sondern dass es Männer sind, die ihren Sexualtrieb natürlich und verständlicherweise genau so wenig unterdrücken können, wie jeder andere (junge) Mann? Die diesen stärksten Trieb, den ihnen ihr Schöpfer – von Gott mag ich nicht sprechen – mitgab, allerdings nur im Verborgenen und zu Lasten unschuldiger Dritter ausleben können? Darum geht es in den Lyrics zu „NAZARETH“.

5. Auf dem Booklet zeigt Ihr Euch den „social medias“ kritisch gegenüber und wünscht Euch wieder das „gute, alte Gespräch miteinander“! Welche Lösungsmöglichkeiten siehst Du diesbezüglich?

Michael:
Bundespräsident Steinmeier hat hier zusammen mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ eine Initiative auf den Weg gebracht, die ich für unterstützenswert halte: „Deutschland spricht“ – hier werden Gesprächspartner zusammengebracht, die gänzlich unterschiedliche Ansichten vertreten. Die Leute werden so herausgeholt aus ihrer „Filterblase“. Man muss natürlich offen sein für einen konstruktiven Diskurs, offen sein für die Sichtweisen anderer Menschen. Aber ein „weiter so“ mit Fake News, Beleidigungen, Gewaltandrohungen und deren Umsetzung in die Tat darf es nicht geben. Wir verrohen jeden Tag ein Stückchen mehr, verlieren die Empathie für einander. Deshalb muss man ergebnisoffen miteinander reden. Ich habe mich übrigens ebenfalls für eine Diskussionsteilnahme registriert. Einfach mal nachlesen unter www.zeit.de.

6. Musikalisch wie textlich habt Ihr einen Wandel vollzogen…weg von der unbeschwerten Status Quo Coverband hin zur ernst zu nehmenden eigenen Band nebst kritischen Untertönen! War dieser Weg bewußt gewählt oder eine „ganz normale“ Entwicklung!

Michael:
Diese Entwicklung ist wohl auch dem Alter geschuldet… Lange Jahre waren wir als Tribute-Band aktiv, und das hat uns auch viel Spaß gemacht. Jetzt möchten wir aber nicht mehr die „Kopie von…“ sein, sondern in der Tat als eigenständige Band wahrgenommen werden – musikalisch wie textlich. Und bei all den Besorgnis erregenden Entwicklungen und Problemen auf der Welt kann und will ich nicht mehr über Belanglosigkeiten schreiben. Wir haben alle eine Verantwortung, und deshalb sollen die Songs zum Mit- und Nachdenken anregen – Unterhaltung mit Haltung, um noch einmal den großen Udo Jürgens zu zitieren.

7. Wenn Du das neue Album „Rockwall“ mit dem Vorgänger „Brothers in Boogie“ vergleichst – welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten würdest Du benennen?

Michael:
ROCKWALL ist noch eigenständiger als BIB; wir haben unseren eigenen Stil weiter geprägt. Das neue Album bietet mit FAREWELL, FOR FREEDOM AND FRIENDS, SPARKS etc. auch noch ein wenig mehr musikalische Vielfalt. Aber einen „signature sound“ – man erkennt, dass BIB und ROCKWALL von derselben Band und demselben Produzenten geschaffen wurden.

8. Eure Pläne und Ziele für 2019?

Michael:
Viele Gigs, woran wir bereits arbeiten. Wenn Alles klappt, können wir in 2019 mit einer bekannten und von uns sehr geschätzten Band auf Europa-Tour gehen. Da dies aber noch nicht „in trockenen Tüchern“ ist, muss ich mich hier einstweilen zurückhalten. Sobald Alles fixiert ist, hört Ihr davon. Und wir werden für eine neue Blu Ray aufzeichnen, die dann in 2020 zu unserem „25. Geburtstag“ erscheinen wird.

9. Anything else to say?

Michael:
Seid nett zueinander – stoppt „Deutschland brüllt“, unterstützt „Deutschland spricht“. Danke für die Möglichkeit, meine Ansichten in ROCK CITY zu äußern. Weiterhin viel Erfolg für Euer Mag, das Ihr offensichtlich mit viel Enthusiasmus betreibt.

Cheers, Michael

Liebe Grüße
Jens / Rock City